August 03, 2015 CC BY 4.0 |
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War Michel Foucault ein Linker? Über diese Frage ist immer wieder und schier endlos diskutiert worden. Tatsächlich braucht es nicht viel philologischen Spürsinn, um in seinen Büchern und Schriften Belege für viele, auch sich scheinbar oder wirklich widersprechende Spielarten eines Denkens über fast das ganze politische Spektrum hinweg zu finden. Klar und konsistent war wohl nur seine Verachtung der zynischen und opportunistischen, sprich stalinistischen Politik der Kommunistischen Partei Frankreichs, daher auch der Sowjetunion, und eines orthodoxen, dem Gang der Geschichte (sieges-)gewissen Marxismus.
Jacques Rancière (2011), Photograph: Bård Ivar Basmo, Quelle: https://flic.kr/p/aHuLup
Jacques Rancière, der Mitte der 1970er Jahre zum weiteren, allerdings schon sehr lockeren Kreis der "Schüler" von Foucault zählte, führte 1977 ein schriftliches Interview mit ihm für die Zeitschrift Les révoltes logiques ("Mächte und Strategien", Schriften Bd. III, S. 538–550). Das Interview ging von Rancières offenkundig politisch besorgter Frage aus, ob die Kritik am Gulag, wie sie in diesem Jahr namentlich von André Glucksmann in seinem Pamphlet Meisterdenker geäussert wurde, nicht zu einem "Hauptwort des Neoliberalismus oder der Neopopulismen" werden könne (S. 538). Foucaults lange Antwort, in der er sich nicht nur von der Sowjetunion und dem ihrem Herrschaftssystem inhärenten Gulag distanzierte, sondern auch von den linken Träumen von einem "Sozialismus", den er als Idealgebilde im Gegensatz zum sowjetischen Sozialismus in ironisierende Anführungszeichen setzte, beantwortete im Übrigen die Frage, ob er noch ein Linker sei, auch nicht wirklich. Denn er postulierte, dass immer noch eine "sehr schwierige Aufgabe zu erfüllen" sei: "trotz des Gulag bei uns einen Diskurs der Linken aufrechtzuerhalten"… (S. 541)
Nun, interessant ist, wie Rancière diese Episode erinnert. Im langen Interview-Band Die Methode der Gleichheit (Paris 2012, Wien 2014) erzählt er, dass er Foucault acht schriftliche Fragen stellte, dieser aber nur vier beantwortete. Die nicht beantworteten Fragen hätten alle die Rezeption seiner – Foucaults – Arbeiten durch die Neuen Philosophen betroffen: Foucault habe "gerochen, dass diese vier nach Ärger rochen und hat daher nur die anderen vier beantwortet". Und weiter: "Dass er nicht antwortete, bedeutet, dass er bereits weg war, und danach hat er sich in diese ganze Gluckmann'sche Politifikation hineinziehen lassen."
Was das genau heissen soll, wird nicht klar – ausser vielleicht insofern, als Rancière anschliessend von seiner letzten persönlichen Begegnung mit Foucault erzählt: "Das letzte Mal, dass ich Foucault sah, dass ich wirklich mit ihm gesprochen habe, war, als ich diese Antworten abholen gegangen bin, und er hat an diesem Morgen nur von der roten Gefahr gesprochen. Das war gerade nach der Machtübernahme der Prokommunisten in Äthiopien." (Anm.: Der von der Sowjetunion und Kuba unterstützte Mengistu Haile Mariam kam am 11. Februar 1977 an die Macht, was den Beginn des zehnjährigen "Roten Terrors" markierte.) "Alles, was ihn damals beschäftigte, war die Ausdehnung des Kommunismus in Afrika. Das war ein etwas enttäuschender Augenblick." Und das sei dann auch "das Ende jeder Beziehung zwischen Foucault und mir" gewesen (alle Zitate Methode der Gleichheit, S. 64).
Abgesehen davon, wie Rancière das Foucaultsche Denken einschätzt und in Beziehung zu seinem eigenen Werk setzt (was hier nicht diskutiert werden kann), lässt sich doch festhalten, dass nicht zuletzt auch diese hier berichtete Episode darauf hindeutet, dass die Verschiebungen und Veränderungen von Foucaults Denken in jener Zeit wohl so einiges mit der "mittleren" Phase des Kalten Krieges zu tun haben, als die Linke mit Solschenizyns Gulag-Büchern konfrontiert wurde und die Sowjetunion endgültig aufhörte, ein Vorbild und Modell für die "fortschrittlichen Kräfte" im Westen zu sein. Diese Veränderungen begannen sich nach Der Wille zum Wissen von 1976 zu manifestieren und zeigten sich bekanntlich erstmals mit einiger Klarheit in den Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität (ab 1978), als Foucault die "Freiheit" im Liberalismus hervorhob, warme Worte für den Neoliberalismus fand und die bei der Linken so beliebte Gleichsetzung des "bürgerlichen" Staates mit dem "Faschismus" (oder dem Gulag-System) zurückwies. All das ist im 77er-Interview schon deutlich angelegt, welches ohne den Kalten Krieg nicht zu verstehen ist. Foucaults Denken lässt sich von diesen politischen Kontexten weit weniger loslösen, als dies sein Status als "Philosoph" zu erlauben scheint. Damals sagte Foucault am Schluss des Interviews allerdings noch: "Diese Fragen wurden mir schriftlich gestellt. Ich habe darauf genauso geantwortet, aber ich habe ein wenig improvisiert […], um den vorgebrachten Behauptungen einen problematischen, absichtlich ungewissen Charakter zu belassen. Was ich hier gesagt habe, ist nicht das, 'was ich denke'. Aber ich frage mich oft, ob man es nicht denken sollte." (Schriften, Bd. III, S. 550).