"It's All in the Game" (The Wire)
Onur Erdur
April 14, 2013 DOI: 10.13095/uzh.fsw.fb.14 editorial review CC BY 4.0 |
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Aristoteles: ein Spielverderber? Die Geschichte des philosophischen Denkens: ein tragisches Spiel mit der Wahrheit? Und Michel Foucault: der lachende Wettkönig dieser Wahrheitsspiele? So in etwa könnte das Bild aussehen, das von der Philosophie präsentiert wird, wenn man den 2012 auf Deutsch erschienenen Vorlesungsband mit dem Titel Über den Willen zum Wissen von Foucault aufschlägt und zu lesen beginnt.[1] Bei diesen zwischen 1970 und 1971 am Pariser Collège de France gehaltenen Vorlesungen handelt es sich um die allererste reguläre Lehrveranstaltung, die der dorthin frisch berufene französische Philosoph direkt im Anschluss an seine, später unter dem Titel Die Ordnung des Diskurses berühmt gewordene Inauguralvorlesung vom 2. Dezember 1970 durchführte.[2] Man entdeckt nun in diesen, auch in Frankreich erst 2011 publizierten Vorlesungen vor allem den Lehrer Foucault, der seinen Zuhörern die grossen Fragen der Philosophie nachvollziehbar zu vermitteln versucht und dies auf transparente Weise mit dem eigenen Forschungsprogramm koppelt, nämlich am eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl "Geschichte der Denksysteme" zu lehren und zu untersuchen.
Foucaults erste Vorlesungsreihe kann getrost als einer der Konzentrationspunkte seines Schaffens angesehen werden. Man begegnet in ihr einem Foucault, der bereits 1970 vom "Willen zum Wissen" spricht und dafür tief in die Antike tauchen wird – zwei Aspekte, die in der Foucault-Forschung gewöhnlich mit dessen Spätwerk assoziiert sind. Das Buch lässt sich daher als gesundes Korrektiv gegenüber allzu überheblichen Periodisierungsanstrengungen seines Werkes verstehen. Hier "hört" man nämlich einen Foucault sprechen, der das diesjährige Vorlesungsthema "Wille zum Wissen" selbstinterpretierend gleich zum Schlagwort seines gesamten Denkens macht: "Ehrlich gesagt", setzt Foucault in der ersten Vorlesung an, "glaube ich, unter diese Überschrift hätte ich auch die meisten historischen Analysen stellen können, die ich bisher unternommen habe – und ebenso die historischen Analysen, die ich gegenwärtig unternehmen möchte" (S. 15). Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Forschung? In all diesen vergangenen oder noch kommenden Analysen "Fragmente einer Morphologie des Willens zum Wissens" (S. 15) erblicken zu wollen, wie Foucault es formuliert, mag vielleicht bloss zu jenen bekannten Selbstdarstellungen gehören, mit denen er eigene Denkbewegungen so gerne zu ordnen versuchte. Dennoch offenbart die Lektüre, dass im Zentrum von Foucaults Bemühungen, und ganz unabhängig von persönlichen oder posthumen Einteilungsversuchen (etwa "frühe", "mittlere" und "späte" Phase), immer schon das philosophische Thema schlechthin sich abzeichnet: die Wahrheit.
Foucault geht es in dieser Vorlesung zunächst ganz allgemein um die Frage, wie eine Geschichte der Wahrheit bzw. der Diskurse über die Wahrheit zu schreiben ist. Das "Spiel", von dem vornehmlich die Rede sein wird, und das Foucault in der Vorlesung aufführen und seinen Studenten gegenüber darbieten will, ist dasjenige zwischen einem basalen Willen zur Wahrheit und ihrem entsprechenden philosophischen Diskurs. Es besteht Foucault zufolge darin, herauszufinden, "ob der Wille zur Wahrheit nicht in einem Ausschliessungsverhältnis zum Diskurs steht, (…) ähnlich dem Spiel, das der Gegensatz zwischen Wahnsinn und Vernunft oder das System der Verbote zu spielen vermag" (S. 16). Wahnsinn und Vernunft? Das erinnert an sein früheres Buch Wahnsinn und Gesellschaft und zeigt an, dass Foucault dieses Spiel der Ausschliessungen bereits mehrere Male gespielt haben muss.[3] Die an diese Spieleröffnung anschliessende Auflistung von Foucault bestätigt diese Vermutung, offenbart ein ganzes Repertoire an Spielweisen und sorgt nebenbei für die entsprechende Erhellung seines Programms: Es gilt, so Foucault, "herauszufinden, ob der Wille zur Wahrheit nicht ebenso tiefgreifend historisch ist wie jedes andere Ausschliessungssystem; ob er nicht wie sie in seiner Wurzel willkürlich ist; ob er nicht wie sie in der Geschichte verändert werden kann; ob er nicht wie sie auf einem ganzen Netz von Institutionen basiert und daher wie sie von diesem institutionellen Netz immer wieder aufs Neue ins Spiel gebracht wird" (S. 16).
Der Wahrheit eine Geschichte geben – das ist sicherlich ein ambitioniertes Projekt. Es bedeutet, den vermeintlich zeitlosesten Zusammenhang schlechthin, die Liebe zur Wahrheit, wie jede andere, beliebige diskursive Praxis auch zu behandeln und ihn als historischen Untersuchungsgegenstand zu objektivieren. Foucaults Anspruch, mit bereits erprobten Methoden und Erkenntnissen seiner früheren Studien nunmehr eine neue Art der Geschichtsschreibung von Philosophie in Angriff zu nehmen, erfordert aber auch einen hohen Einsatz. Dieser besteht zunächst in der notwendigen, manchmal auch verwirrenden Arbeit an den Begriffen "Wissen", "Wahrheit" und "Erkenntnis" sowie "Wille", "Wunsch" und "Streben" (vgl. S. 17). Im Zusammenhang mit den philosophischen Spielen ist es jedoch entscheidend, dass Foucault ganz im Sinne von Nietzsche, der in dieser Vorlesung ständig präsent ist, auf keinen Fall der beurteilende Schiedsrichter einer wie auch immer geformten Wahrheit sein wollte und daher lieber gleich auf ihr geschichtliches Werden wettete. Daher spricht er selbst gleich zu Beginn der Vorlesung von einer "offenen Wette", auf die er gerne mit den Studenten eingehen möchte, bei der er aber nicht sicher sei, ob er diese am Ende seiner Vorlesung auch einlösen könne (S. 18).
Worin die offene Wette besteht, beantwortet Foucault wie so oft mit einer Auflistung. Wieder gelte es herauszufinden, "ob man unter der Geschichte der wahren Diskurse die Geschichte eines Willens zum Wahren oder Falschen zutage fördern kann (…); ob man zweitens herausfinden kann, dass dieser einzigartiger und stets erneuerte historische Einsatz des auf Wahrheit oder Falschheit ausgerichteten Systems die zentrale Episode eines bestimmten, unserer Zivilisation eigenen Willens zum Wissen darstellt; ob man schliesslich diesen Willen zum Wissen, der die Form eines Willens zur Wahrheit angenommen hat, nicht mit einem Subjekt oder einer anonymen Kraft, wohl aber mit den realen Herrschaftsverhältnissen verknüpfen kann" (S. 18f.). Der Ausgang einer solchen Wette bestünde darin, das Wahrheitsspiel wieder in das Netz der Zwänge und Herrschaftsbeziehungen einbinden zu können, aus dem heraus es sich entwickelt hätte. Also auch ein genealogisches Programm, und eine direkte Reminiszenz an Nietzsche, der als Wettpate die konzeptuellen Spielstrategien gleich mitliefert. Denn die genealogische Frage, welche realen Kämpfe und Herrschaftsverhältnisse am Willen zur Wahrheit beteiligt gewesen sind – sie kann und soll am Ende der offenen Wette nur auf folgendes Ergebnis hinauslaufen: dass die Wahrheit, besser gesagt "das System des Wahren und des Falschen", wieder ihr Gesicht zeigen wird, nämlich das der Gewalt und der Tragödie (S. 19).
Das Anschauungsmaterial dafür, dass sich die Geschichte der Wahrheit als eine Geschichte der Tragödie entpuppt, findet Foucault im Zuge seiner eigenen Nietzsche-Erfahrung im antiken Griechenland. Sein nietzscheanisches Projekt einer Genealogie des Willens zum Wissen beschränkt sich daher bei diesen Vorlesungen historisch auch auf die Zeit von Homer bis Ödipus und erstreckt sich von den archaischen Rechtspraktiken der frühen Griechen bis zur Polis der klassischen Zeit. Dass Foucault sich hier ausschliesslich für die griechischen Wissensdiskurse und deren juristische sowie politische Wirkungen interessiert, hat in seinen Augen damit zu tun, dass die Philosophie selbst nur wenig Hilfe bei dieser Forschung biete. Es gebe zwar kaum eine Philosophie, die nicht von Dingen wie dem Willen oder den Wunsch nach Erkenntnis, Wahrheitsliebe usw. gesprochen hätte; abgesehen von Spinoza und Schopenhauer hätten aber nur wenige diesem Willen mehr als eine marginale Stellung zugewiesen (S. 19). Ein Anhaltspunkt mehr für Foucaults These einer Ausschliessung des Willens zum Wissen innerhalb der Zivilisationsgeschichte, und eine Mahnung an die Philosophie. "Als hätte die Philosophie nicht zuallererst einmal zu sagen, was sie doch selbst in ihrem Namen führt", konstatiert Foucault und setzt zum nietzscheanischen Hammerschlag an: "Als genügte es ihr, diesen Wunsch nach Wissen, der in ihrem Namen zum Ausdruck kommt, ihrem Diskurs gleichsam als Motto voranzustellen, um ihre Existenz zu rechtfertigen und zu beweisen, dass sie – mit einem Schlage – notwendig und natürlich sei: Alle Menschen streben von Natur nach Wissen … Welcher Mensch wäre da nicht Philosoph, und wie sollte die Philosophie nicht notwendiger als alles in der Welt sein?" (S. 19)
Das ist gegen Aristoteles und dessen erste Zeilen aus der Metaphysik gemünzt, die mit der Prämisse "Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen" beginnt. Aristoteles stellt für Foucault das erste und wohl entscheidende Beispiel dafür dar, wie es "schon in den Anfängen des philosophischen Diskurses zum Wegfall dieses Wunsches nach Wissen kam" (S.19); wie also der Wille zum Wissen als spezieller, zu erklärender Wille bereits bei Aristoteles zum Verschwinden gebracht wurde. Man bekommt von Foucault einen Aristoteles dargeboten, der die sokratisch-sophistische Frage, nämlich jenes "Warum streben wir nach Erkenntnis?", mit einem Taschenspielertrick eskamotiert, quasi "aus dem Spiel nimmt" (vgl. S. 32). Wie? Kurz gesagt, indem er mit dem Satz "Alle Menschen …" den Willen zur Wahrheit innerhalb des Luststrebens nach Erkenntnis verortet, für ein anthropologisches Naturgesetz der Philosophie sorgt und damit ihre Geschichtlichkeit verhindert. So gesehen muss Aristoteles wirklich ein Spielverderber gewesen sein. Und Foucault? Wenn die Philosophie tatsächlich ein Spiel sein sollte, dann ist Foucault einer ihrer besten Geschichtsschreiber und Spielentzifferer.
[1] Über den Willen zum Wissen. Vorlesungen am Collège de France 1970/1971, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2012 (frz.: Leçons sur la volonté de savoir. Cours au Collège de France 1970/1971, Paris: Edition du Seuil 2011). Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf die deutsche Ausgabe.
[2] Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France, 2. Dezember 1970, Frankfurt/M.: Ullstein 1977 (frz.: L'ordre du discours. Leçon inaugurale au Collège de France prononcée le 2 décembre 1970, Paris: Gallimard 1971).
[3] Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1973 (frz.: Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique, Paris: Librairie Plon 1961).