Maurice Erb
October 28, 2014 DOI: 10.13095/uzh.fsw.fb.65 editorial review CC BY 4.0 |
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Gerichtskampf ("Die Sonne soll man ihnen gleich zuteilen", Ausschnitt, Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, 1295-1363)
Gibt es so etwas wie "intellektuelle Konstanten" bei Michel Foucault? Gibt es gleichbleibende Standpunkte oder Argumente in diesem schillernden Denken, das sich selbst als transformative Übung versteht? An erster Stelle wäre hier auf das sine qua non einer als "unerbittlich" gedachten Historizität zu verweisen, gleich danach aber auf ein eng damit zusammenhängendes, zweites "Axiom": Foucault akzeptiert kein primordiales oder übergeordnetes Drittes, und zwar weder im Sinne einer notwendigen dialektischen Vermittlung noch als spezifisch juridisch oder allgemein symbolisch verstandenes "Gesetz".
Schon in Wahnsinn und Gesellschaft sind die grundlegenden Ordnungen erstens räumlicher Natur und oft "binär" strukturiert, zweitens auf "ausserhalb" der Zeit ("hétérogène au temps de l'histoire, mais insaisissable en dehors de lui"[1]) vollzogenen Entscheidungen oder "Machtgesten" basierend gedacht. Foucault wendet sich damit gegen ein der Kontinuität und Vermittlung verpflichtetes, hegelsches Geschichtsdenken und positioniert sein Argument zugleich quer zum Strukturalismus und zur (strukturalistischen) Psychoanalyse, deren konzeptuelle Fundamente er vielmehr zu historisieren versucht. Dieses "Programm" prägt auch die "archäologische Phase" und schlägt sich in der Ordnung der Dinge (ursprünglicher Untertitel: "Eine Archäologie des Strukturalismus") ebenso wie im berüchtigten Diskurspositivismus der Archäologie des Wissens nieder, mit dem sich Foucault deutlich von der (post-)strukturalistischen vogue des Signifikanten und der Polysemie abgrenzt und der nota bene auch die Distanz einer foucaultschen "Diskursanalyse" zu Althussers lacano-marxistischer Ideologiekritik markiert. In der darauffolgenden, "genealogischen Phase" wird Foucaults Ablehnung des "Gesetzes" noch greifbarer, zumal er sich nun ausdrücklich auf Nietzsche bezieht und auch mehr die juridische als die symbolische Lesart thematisiert. Der Fokus liegt hier auf der Einsicht, in der Geschichte drehe sich letztlich alles um die Frage, "[].. wer sich der Regeln bemächtigt"[2] – wobei die Betonung unmissverständlich auf dem "wer" liegt und nicht auf den "Regeln" oder dem "Gesetz". Schliesslich geht Foucault noch über Deleuze/Guattari hinaus, wenn er "Oedipus" nicht "nur" als Machtmittel gegenwärtiger Gesellschaften, sondern dessen Mythos selbst als Abbild altgriechischer Gerichtspraktiken und Parabel auf das agonale Verhältnis von Macht(willen) und "Wahrheit" entlarvt.[3] Statt für ein zeitloses Gesetz steht "Oedipus" also für eine Genealogie der modernen Rechtsordnung, die Foucault entlang des altgermanischen Strafrechts, das als ritualisierte Form vom Kampfes- oder Racheakten zwischen zwei Parteien ohne Intervention eines "Dritten" ausgekommen sein soll, über die nach der Logik von Sieg und Niederlage operierende feudale Gerichtsbarkeit bis zum Monopol judikativer Gewalt in den neuzeitlichen Monarchien und Republiken weiterverfolgt.[4]
Das symbolische oder juridische "Gesetz" ist mithin sekundär und gleichsam ein (End-)Effekt jener multiplen "Zweikämpfe", die den historischen Prozess ausmachen. Auch die Hinwendung des "späten" Foucault zur "Regierung des Selbst" ändert an dieser Haltung zum "Gesetz" nichts. Ganz im Gegenteil geht es nun darum, aus einer neuen Perspektive zu zeigen, "[..] dass das Gesetz [..] selbst Teil einer viel umfassenderen Geschichte ist, nämlich der Geschichte der Techniken und Technologien im Rahmen der auf das eigene Selbst gerichteten Praktiken", denn "[d]iese Techniken und Technologien bestehen unabhängig von der Gesetzesform und sind dieser gegenüber vorrangig".[5] Die in der antiken Selbstsorge enthüllte "Ethik der Immanenz" ist für Foucault gerade deshalb relevant, weil sie offenbar ohne Bezug auf einen religiösen, moralischen oder sonstigen Gesetzes-Code auskommt – was auch im Verhältnis dieser Ethik zum Gemeinwesen gilt: "[s]o wichtig der Staat ist, so bedeutsam auch die Idee des nomos, und so weit verbreitet auch die Religion im griechischen Denken ist, weder die politische Struktur noch die Gesetzesform, noch das religiöse Gebot können einem Griechen oder einem Römer [..] je sagen, was man sein Leben lang zu tun hat".[6] Foucaults Bemühungen, einen neuen Begriff des autonomen "Subjekts" oder Selbst zu entwickeln, führen ihn am Schluss in die Nähe von Kants Begriff der Aufklärung als "Ausgang" aus der Unmündigkeit, den er im Sinne einer permanenten Genealogie der Aktualität interpretiert. Signifikanterweise versäumt Foucault jedoch auch hierbei nicht, darauf hinzuweisen, dass diese "Unmündigkeit" keinesfalls im juristischen Sinn, das heisst als eine aus der Beraubung eines Rechts resultierende, verstanden werden darf.[7]
"Foucault und das Gesetz" ist nun offensichtlich auch ein neuer hot topic in der aktuellsten Sekundärliteratur. Man erfährt da jedenfalls, dass Foucault den Neoliberalismus als "juridische Regression" beurteilte oder verurteilte, weil dieser mit der vordergründigen Legitimierung seiner Ordnung durch das Gesetz eine "andere Realität" maskiere, nämlich das "hijacking" einer republikanischen Konzeption der Rechtsordnung durch neoliberale politische Ökonomie mit dem Ziel einer Entpolitisierung der Zivilgesellschaft.[8] Foucault biete daher nicht nur eine profunde Kritik an diesem Kalkül "biopolitischer Gouvernementalität", er entdecke auch die republikanische Idee der rule of law beziehungsweise das konstitutionelle Gesetz als Quelle des Widerstands gegen den Neoliberalismus.[9] Zunächst stellt sich vielleicht die scheue Frage, wieso hier – wieder einmal – in aller Selbstverständlichkeit "Biopolitik" und "Gouvernementalität" zur systematischen Begriffsreferenz einer "biopolitischen Gouvernementalität" verschmolzen werden, wo doch "Gouvernementalität" im transformativen flux einer (damals noch beschleunigten) Theorieentwicklung bekanntlich die vorübergehende und dünne Konzeptskizze der "Biopolitik" als Analyseraster abgelöst hatte. Unabhängig davon darf man aber darüber staunen, dass nun der alte Vorwurf des "Krypto-Normativismus" endlich eine positive Wendung erfahren hat und Foucault als republikanischer Konstitutionalist geoutet werden konnte. Ein anderer Beitrag schlägt in eine ähnliche Kerbe, indem er Foucaults raschen thematischen Übergang von der Analyse neoliberaler Ökonomie zur Iranischen Revolution und von da zur Ethik des Selbst als "komprimierte Antwort" auf ein von ihm vorausgesehenes, neues "hegemoniales Regime neoliberaler Machtbeziehungen" interpretiert.[10] Was Foucault offenbar mit "astonishing prescience" erfasste, ist der gegenwärtige globale Antagonismus von kapitalistischem Imperialismus und Widerstand durch einen politisierten Islam, präfiguriert in der Simultaneität von neoliberaler und iranischer Revolution Ende der 1970er-Jahre.[11] Dabei soll ihn am revolutionären Islam vor allem dessen "Sexualpolitik des Haushalts" interessiert haben, denn im Kontrast zur "sexuellen Ökonomie" des Neoliberalismus, welche die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem in einem Raum von Markttransaktionen auflöst, wird hier der grundlegende Stellenwert des Haushalts durch die Unterordnung von Geld- und Lusttransaktionen unter das göttliche Gesetz wiederhergestellt.[12] Und genau diese Idee oder Entdeckung des "Gesetzes des Haushalts" vertiefte Foucault dann angeblich im zweiten Band von Sexualität und Wahrheit anhand der griechischen oikonomia, in der er ein idealtypisches Modell für den Widerstand gegen die "neoliberale Sexualökonomie" gefunden zu haben scheint. Somit drängt sich also die Notwendigkeit einer um das "Gesetz" zentrierten Neulektüre des "späten" Foucault auf: "[..] Foucault's final work articulates a moralist critique of capitalism in which the transactional exchanges of neoliberalism are condemned at the very moment they threaten to undo the genealogical foundations [sic!] of the household and the fraternal community of transaction in public space. What he asserts in response is a renewed ethics of sexual virtue, founded on the priority of divine law, and embodied in the figures of the virginal or pious woman and the self-mastering ascetic man".[13]
Solche "Neulektüren" sind gewiss anregend oder auch lehrreich und mindestens legitim. Es bliebe aber zu klären, wieso Foucault als Theoretiker des Diskurspositivismus und der parrhesia seine erstaunlichen "Visionen" in einer Art hermeneutischer "Zeitkapsel" verschlüsselte, die dann nur von "eingeweihten" Adepten geöffnet werden kann. Genauer gesagt kann der Leser vor dem Hintergrund der Ausführungen zum nicht gegebenen Dritten oder negierten Primat des Gesetzes folgender Frage nicht ausweichen: Erreichen diese Deutungen einen wahren und vielleicht überraschenden Kern von Foucaults Denken, ermöglichen sie alternativ eine neue, "widerstandstauglichere" Aneignung von tools wie der Genealogie und der Selbstsorge, indem sie mehr pragmatisch als exegetisch auf der Vorrangigkeit des "Gesetzes" vor Techniken, Praktiken und "Bemächtigungen" beharren, oder sind sie – tertium non datur – einfach ungenau und daher falsch?
[1] Michel Foucault. Folie et déraison: histoire de la folie à l'âge classique (Thèse principale pour le doctorat ès lettres). Paris 1961. S. VII.
[2] Michel Foucault. Nietzsche, die Genealogie, die Historie. In: Defert, Daniel, Ewald, François (Hgg.). Michel Foucault. Schriften in vier Bänden (Band II, 1970-1975). Frankfurt a. M. 2002. S. 177.
[3] Michel Foucault. Die Wahrheit und die juristischen Formen. Frankfurt a. M. 2003. S. 29ff.
[4] l. c. S. 55ff.
[5] Michel Foucault. Hermeneutik des Subjekts: Vorlesungen am Collège de France (1981/82). Frankfurt a.M. 2009. S. 149.
[6] l. c. S 544.
[7] Michel Foucault. Die Regierung des Selbst und der anderen: Vorlesung am Collège de France 1982/83. Frankfurt a. M. 2012. S. 48.
[8] Miguel Vatter. Foucault and Hayek: Republican Law and Liberal Civil Society. In: Lemm, Vanessa, Vatter, Miguel (Hgg.). The Government of Life: Foucault, Biopolitics, and Neoliberalism. New York 2014. S. 165.
[9] l. c. S. 165.
[10] Melinda Cooper. The Law of the Household: Foucault, Neoliberalism, and the Iranian Revolution. In: Lemm, Vanessa, Vatter, Miguel (Hgg.). The Government of Life: Foucault, Biopolitics, and Neoliberalism. New York 2014. S. 32f.
[11] l. c. S. 30.
[12] l. c. S. 33.
[13] l. c. S. 33.